Verschiedene Rollen in der Arbeitsmedizin

Zwischen den Stühlen – und doch aufrecht stehen: Die besondere Rolle des Arbeitsmediziners

In kaum einer ärztlichen Disziplin ist die Balance so herausfordernd wie in der Arbeitsmedizin. Hier treffen nicht nur Gesundheit und Arbeit aufeinander, sondern auch zahlreiche Interessen, Ansprüche und Perspektiven. Der Arbeitsmediziner befindet sich im Spannungsfeld verschiedenster Stakeholder: Unternehmen, Mitarbeitende, Führungskräfte, Personalabteilungen, Betriebsräte – sie alle haben Erwartungen an „ihren“ Betriebsarzt. Und diese Erwartungen sind nicht selten widersprüchlich.

Während das Unternehmen wirtschaftliche Effizienz und gesetzliche Sicherheit im Blick hat, wünschen sich Mitarbeitende Schutz, Fürsorge und eine gesunde Arbeitsumgebung. Führungskräfte wiederum erwarten oft schnelle, pragmatische Lösungen – und Loyalität gegenüber unternehmerischen Entscheidungen. Der Arbeitsmediziner steht dabei mittendrin – als beratende Instanz, als gesundheitlicher Hüter, als neutraler Experte.

Diese Aufgabe verlangt ein hohes Maß an Klarheit, Unabhängigkeit und Fingerspitzengefühl. Denn obwohl der Arzt oder die Ärztin formal Teil des Unternehmens ist – häufig sogar direkt angestellt – bleiben sie in ihrer ärztlichen Entscheidungsfreiheit frei. Genau hier liegt die Herausforderung: Loyalität gegenüber dem Unternehmen, ja – aber niemals auf Kosten der Gesundheit oder Unabhängigkeit.

Arbeitsmediziner*Innen müssen erkennen, wann Prozesse zu Lasten der Mitarbeitenden gehen – auch wenn sie vermeintlich Effizienz versprechen. Er oder sie muss Stellung beziehen, wenn eine medizinische Entscheidung nicht dem Wunsch einer Führungskraft entspricht. Und er oder sie muss Wege finden, in interdisziplinären Runden – mit HR, Management, Betriebsrat und Produktion – die medizinisch-ethische Perspektive ruhig, sachlich und überzeugend zu vertreten.

Diese anspruchsvolle Rolle ist nicht immer leicht zu greifen, geschweige denn in jeder Situation konsequent zu leben. Sie verlangt Reflexion, Erfahrung und eine klare innere Haltung: Wer bin ich in diesem System? Wofür stehe ich – und wie bewahre ich meine Neutralität, ohne mich vereinnahmen zu lassen?

Gerade für Fachärztinnen und Fachärzte der Arbeitsmedizin sowie für Führungskräfte in arbeitsmedizinischen Einrichtungen ist diese Frage zentral.
Denn sie wissen aus der Praxis: Es gibt viele Kräfte, die an einem ziehen – und doch ist es ihre Aufgabe, Haltung zu zeigen. Nicht laut, nicht stur, sondern professionell, empathisch und unbeirrbar.

Die Aufgabe des gesundheitlichen Navigators ist anspruchsvoll – und gleichzeitig von enormem Wert für Unternehmen und Belegschaft. Wer sie bewusst einnimmt, wird zur echten Instanz: Für Gesundheit. Für Vertrauen. Und für nachhaltige Arbeitswelten.